Autowäsche oder Denkarium
4. Dezember 2021„Mir läuft die Zeit davon!“…
12. April 2022Immer wieder gibt es Diskussionen zwischen Naikan Übenden, wie wichtig und sinnvoll die dritte Frage ist. Zugegeben: Es ist eine Herausforderung, sich der Frage zu stellen, welche Schwierigkeiten ich jemandem bereitet habe. Viel präsenter ist doch, welche Schwierigkeiten mir jemand macht!
Und doch ist es genau diese Einstellung „Die anderen bereiten mir Schwierigkeiten, erfüllen nicht meine Erwartungen…“, die Garant für ein Leben in der Opferrolle ist, ein glückloses. Häufig geprägt von Zweifel, Ohnmacht, Wut und Depressionen. Wie könnte es auch anders sein? „Die anderen“ sind viele und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass jemand mir bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt Schwierigkeiten bereitet. Lasse ich es zu, dass meine Aufmerksamkeit sich auf jene Situationen richtet, in denen es NICHT so läuft, wie es mir gefällt, ziehe ich freiwillig die berühmte „A-Karte“.
Nur EIN Fehltritt
Dann geht es mir zum Beispiel so wie einer Kollegin, die mit ihrer besten Freundin gebrochen hatte, weil diese nicht zu ihrer Hochzeit kommen konnte. Seit ihrer Kindheit waren die beiden ein Herz und eine Seele. Sie fuhren gemeinsam in Urlaub, halfen sich bei diversen Umzügen, trösteten sich gegenseitig bei unglücklichen Liebesgeschichten und verloren sich auch nicht aus den Augen, als jede in ein anderes Bundesland zog.
Als die Kollegin heiratete, wollte sie ihre beste Freundin an ihrer Seite haben. Diese hatte jedoch gerade eine neue Stelle angetreten, für die sie lange gekämpft und auf die sie viele Jahre gewartet hatte. Schweren Herzens sagte sie ihrer Freundin ab. Die Kollegin war so verletzt und enttäuscht, dass sie den Kontakt komplett abbrach.
Erst als sie sich im Naikan gegenüber dieser Freundin geprüft hatte, erkannte sie, wie unangebracht und ungerecht ihr Verhalten gewesen war. So viele Jahre war die Freundin für sie da gewesen, mit ihr durch Dick und Dünn gegangen. Sie hatte viele ihrer Launen ertragen, ihr immer wieder verziehen, wenn sie selbst einmal keine Lust hatte, z.B. zu einer Einweihungsparty zu kommen…
An die eigene Nase fassen…
Kommt Ihnen das bekannt vor? Haben Sie es nicht auch schon erlebt, dass Sie für eine – in Ihren Augen – „Kleinigkeit“ bestraft wurden, obwohl Sie für die Person viel getan hatten? Oder können Sie sogar erkennen, dass Sie selbst gegenüber jemandem so gehandelt haben? Häufig sind es nahestehende Menschen, denen gegenüber wir ungerecht, abwertend, ungeduldig handeln. Die wir für Fehlverhalten bestrafen, ohne die vielen Dinge sehen zu können, die sie für uns getan haben.
Möchte ich ein selbstbestimmtes, glückliches, verantwortungsbewusstes Leben führen, ist es unumgänglich, mir dessen bewusst zu werden. Ich muss mich meinen Schattenseiten stellen. Es kann unglaublich hilfreich sein, sich öfter einmal an die eigene Nase zu fassen.
…heißt NICHT, sich selbst zu beschuldigen
„Ich gebe mir eh immer die Schuld an allem, was so schief läuft!“ kommt oft als Argument gegen die dritte Naikan Frage. „Da werde ich doch noch depressiver, wenn ich mir meine ganzen Fehler anschauen soll!“ Wie wahr: Wenn ich mir ständig selbst die Schuld an Missständen gäbe, würde ich wohl auch depressiv werden.
Niemand hat die Verantwortung für ALLES, was im eigenen oder im Leben anderer nicht funktioniert. Es gibt Schwierigkeiten, die ich bereite, die ich nicht vermeiden kann. Zum Beispiel ist es nicht meine Verantwortung, wenn jemandem meine Haarfarbe nicht gefällt oder die Art, wie ich mich kleide. Auch wenn das Essen nicht schmeckt, das ich serviere, liegt nicht in meiner Verantwortung – solange ich es mit aller Sorgfalt zubereitet habe;-) Zu erwarten, jeden Geschmack perfekt zu treffen, wäre unrealistisch. So gibt es unendlich viele Dinge, für die ich keine Verantwortung zu übernehmen brauche – ich bin nicht generell Schuld am Unglück anderer!
Unterscheiden lernen
Ich kann lernen, vermeidbare und unvermeidbare Schwierigkeiten voneinander zu trennen und letztere zu akzeptieren. Dann kann ich selbstbewusst zu meinen Fehlern, meinen Schattenseiten stehen. Ich kann achtsamer mit meinem Umfeld umgehen und mir die Wirkung meiner Worte und Handlungen bewusster machen. Und das geht meiner Meinung nach am Besten mit der Frage nach den Schwierigkeiten, die ich anderen bereite – der dritten Naikan-Frage;-)