Mit Naikan Resilienz entwickeln
9. Februar 2021Die Wut – ein Geschenk?
4. März 2021Unser Leben, unser Land, ja die ganze Welt ist für viele derzeit schwer zu ertragen. Ängste, Wut, Ungeduld – all das nagt an uns und lässt uns schier verrückt werden. Wie Sie damit gelassener umgehen können und was das mit einem weltbekannten Lied der Sängerin Adele zu tun hat, lesen Sie hier.
„Ich habe gehört,
Adele „Someone like you“
Dass du sesshaft geworden bist
und dass Du ein Mädchen gefunden hast
und nun verheiratet bist.
Ich habe gehört, dass Deine Träume wahr geworden sind.
Wahrscheinlich gab sie dir etwas,
das ich dir nicht geben konnte.
Alter Freund, warum so schüchtern?
Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich so zurückzuhalten
oder Dich vor dem Licht zu verstecken.
Ich hasse es, so uneingeladen aufzutauchen
aber ich konnte mich nicht von dir fernhalten, ich kam nicht dagegen an
Ich hoffte, Du würdest mein Gesicht sehen
und dich dann daran erinnern, dass es für mich eben noch nicht vorbei ist…“
So beginnt einer der erfolgreichsten Songs der Musikgeschichte, geschrieben und gesungen von einer Künstlerin mit einer eindrucksvollen, unverwechselbaren Stimme. Hört man einmal genau auf den Text und die Texte einiger ihrer anderen erfolgreichen Lieder, merkt man schnell: Hier geht es um vergangene Gefühle, um Schmerz, um das Nicht-Loslassen-Können (oder Wollen?) von erfahrenem Leid.
Suche nach Frieden
Ein Teil des Erfolgs des Liedes liegt mit Sicherheit darin, dass jeder von uns dieses Leid erfahren hat, nicht nur einmal im Leben. Ständig begleiten uns Erinnerungen, die sich uneingeladen erbarmungslos und meist zum ungünstigsten Zeitpunkt aufdrängen. Ob das eine verflossene Liebe, ein verpatzter Auftritt beim Theaterspiel, eine Ungerechtigkeit aus Kindheitstagen, ein peinliches Gespräch mit dem Chef ist oder gar ein schreckliches, tief verwurzeltes Trauma – vieles lässt uns nicht mehr los. Gleich einer Nadelspitze, die dereinst den Weg in unseren Körper fand und nun darin herumwandert. Oftmals für lange Zeit unbemerkt, macht sie sich plötzlich – ausgelöst durch irgend einen Ton, ein Wort, ein Bild, einen Geruch – schmerzlich bemerkbar .
Eine Sängerin wie Adele hat die Form des künstlerischen Ausdrucks zur Verfügung, um mit diesen schmerzhaften Erinnerungen Frieden zu schließen. Uns „Normalmenschen“ bleibt jedoch oft nur ein langer Weg vom Aushalten über Selbstfindungsgruppen, Familienaufstellungen usw. bis hin zur Therapie. Zum Glück gibt es mittlerweile unzählige Angebote in dieser Hinsicht – vielleicht sogar etwas zu viele. Die Auswahl ist so groß, dass so manche nach einigen scheinbar Erfolg versprechenden Seminaren und Workshops feststellen, dass bei allem persönlichen Fortschritt letztendlich der Wunsch nach tiefem innerem Frieden mit diesem Thema doch unerfüllt blieb.
Vom Kopf ins Herz
Dabei gibt es eine Form der Selbstreflexion, die bereits Tausenden zu eben jenem inneren Frieden verhalf. Einem Frieden, bei dem das Herz, die Seele endlich nachempfinden können, was unser Verstand schon lange weiß: Was ist, ist und was war, war. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, auch wenn wir uns das noch so sehr wünschen.
An vergangenen Verletzungen festzuhalten ist, als wollen wir die Sonne am Aufgehen hindern. Das einzige, das wir tun können ist, sie so zu akzeptieren, wie sie eben war. Und das kann man lernen.
„Mit meinen 54 Jahren noch an Verletzungen aus meiner Kindheit festzuhalten, erscheint mir jetzt einfach kindisch.“ ist nur eine Aussage, stellvertretend für viele, die sich nach einer Innenschau Woche dauerhaft mit teils schrecklichen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit versöhnen konnten. Dauerhaft heißt dabei, dass sich dieser Stachel, der sich körperlich ausdrückt und für so manche immer an ganz bestimmten Stellen spürbar wird, auflöst und keine Schmerzen mehr verursacht. Auch dann nicht, wenn Sie sich die auslösende Situation bildhaft vorstellen.
Es ist nicht so, dass die Situation, das Erlebnis als solches aus Ihrer Erinnerung verschwindet – was war bleibt, willentliches Vergessen funktioniert nun mal nicht in unserer Körper-Geist-Seele-Einheit. Unsere Gedanken und Gefühle entziehen sich unserer Kontrolle. Aber der Schmerz weicht dem natürlichen Erkennen, dass jede Kränkung, jede nicht erfüllte Erwartung, jeder Verlust und jedes Trauma Teil unseres einzigartigen, unverwechselbaren Persönlichkeitsmusters ist und als Aufgabe verstanden werden darf, das Leben trotzdem bestmöglich zu meistern.
Ein Werkzeug für mehr ZuFRIEDENheit
Diese Form der Selbstreflexion kommt aus Japan, heißt Naikan (Nai = Inneres, nach innen; Kan = schauen, beobachten) und wird üblicherweise mit Innenschau übersetzt. Im Naikan arbeiten wir mit drei einfachen Fragen, die wir in einer Rückzugswoche strukturiert auf unsere Vergangenheit anwenden. Diese Naikan Woche bewirkt bei den meisten TeilnehmerInnen einen oft erstaunlichen Perspektivenwechsel und echte Versöhnung mit der Vergangenheit – innere ZuFRIEDENheit und Dankbarkeit stellen sich ein.
Und wer sich (noch) keine Woche Zeit nehmen möchte, kann diese drei einfachen Fragen jederzeit auf den vergangenen Tag oder auch auf eine Situation anwenden.
Die erste Frage: „Was hat jemand für mich getan?“
Es sind in erster Linie die alltäglichen Dinge, die wir im Naikan auf unsere „NEHMEN-Liste“ schreiben. Jene, von denen wir jeden Tag profitieren, die wir jedoch als selbstverständlich hinnehmen und daher nicht als etwas wahrnehmen, das für uns getan wird. Doch machen gerade diese alltäglichen Dinge rund 80 – 90% unseres Lebens aus. Wir jedoch nehmen nur die 10 – 20% als „Geschenk“ wahr, die uns als außergewöhnlich erscheinen und in Erinnerung bleiben. Dass dieser unvollständigen Wahrnehmung eine eher enttäuschende Lebensbilanz folgt, ist nachvollziehbar.
Dabei gibt es tausend „Kleinigkeiten“, die unser Leben täglich bereichern, erträglicher, komfortabler machen. Denken Sie zum Beispiel an Elektrizität: 2014 fiel bei einem Naikan in Nepal jeden Abend der Strom aus. Das bedeutete, im Dunkel zu essen, denn Kerzen sind teuer und waren lange nicht verfügbar. Oder Ihr Auto, das Sie zuverlässig fast täglich von A nach B bringt. Würden Sie dabei an etwas denken, das „für Sie getan wird?“ Nicht zu sprechen von den vielen Dingen, die Menschen täglich für uns tun, damit das Leben relativ reibungslos und angenehm verläuft. Menschen bringen Lebensmittel zum Supermarkt, damit wir zu essen haben; Menschen arbeiten rund um die Uhr, damit wir versorgt werden können, wenn wir uns verletzen oder krank werden und so weiter.
Auch im privaten Bereich gibt es genug, was jemand für uns tut: Wer macht die Betten, bringt den Abfall raus, deckt den Tisch, kocht, putzt und macht die Wäsche? Wer kümmert sich um das Auto, wenn es zur Reparatur oder zum TÜV muss, wer streicht die Wände, geht arbeiten, damit Geld für den Lebensunterhalt da ist, steht im Sommer am Grill und dreht schwitzend die Würste und das Fleisch, während die anderen fröhlich plaudernd essen?
Lernen wir, diese „Kleinigkeiten“ wahrzunehmen, wird sich unser Leben positiv verändern.
Die 2. Frage: „Was habe ich für jemanden getan?“
Viele haben das Gefühl, ständig mehr für andere zu tun, als sie erhalten. Sie fühlen sich dadurch ausgenutzt, ausgebrannt und werden unzufrieden, wütend… Wieder andere meinen, nichts oder viel zu wenig zu geben und haben häufig ein schlechtes Gewissen. Auch werten viele das, was sie tun als selbstverständlich und ungenügend ab. Betrachte ich das, was ich für andere (die Gemeinschaft, die Umwelt, meine Umgebung…) tue auf die gleiche Weise, wie in der ersten Frage beschrieben, wird sich ein realistischeres Bild vom Gleichgewicht des Gebens und Nehmens in meinem Leben zeigen.
Diesen beiden ersten Fragen im Naikan ist gemeinsam, dass das Ergebnis des Tuns nicht unbedingt gefallen muss. Bring mein Mann mich zum Beispiel ins Krankenhaus, weil es mir schlecht geht, werde ich das nicht als etwas „Schönes“ oder „Gutes“ erleben. Und doch nimmt er sich die Zeit mich zu fahren, steht mit mir an der Aufnahme, wartet mit mir bis ich versorgt bin, erträgt nachsichtig meine schlechte Laune und fährt mich wieder nach Hause. In der Zeit hätte er viele Dinge erledigen können oder sich einfach in die Sonne legen…
Umgekehrt gilt die zweite Frage als etwas, das ich z.B. für meine Mutter getan habe auch, wenn ihr die Blumen, die ich ihr zum Geburtstag schenke, nicht gefallen – zumindest wenn ich sie nach bestem Willen ausgesucht habe und nicht wusste, dass sie genau diese Farbe nicht mag…
„Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“
Nichts kann uns dabei besser behilflich sein, als die 3. Naikan Frage: „Welche Schwierigkeiten habe ich bereitet?“ Wir stellen uns unseren eigenen, für andere unangenehmen, lästigen, schwierigen Seiten. Unserer Kleinlichkeit, Gier, unserer Unachtsamkeit, Ungeduld, Wut und so weiter. „Warum sollte ich mir so eine Frage stellen?“ werde ich öfter gefragt und bin immer wieder erstaunt darüber. „Warum nicht?“ – was ist so verwerflich, sich seine weniger bewundernswerten Seiten anzusehen? Wir bemerken sehr schnell, wenn jemand uns Schwierigkeiten bereitet, dass das aber auch umgekehrt gilt wollen wir nicht sehen?
Dabei ist es eben die Voraussetzung dafür, dass wir etwas ändern können. Denn ändern können wir immer nur uns selbst. Im Laufe des Lebens machen wir mehrfach die Erfahrung, dass andere ihre uns lästigen Eigenschaften nicht ablegen, egal wie oft wir sie dazu auffordern. „Kannst du nicht endlich…?“ oder „Immer machst du das verkehrt…!“ oder „Nie hörst du zu…!“.
Diese und so manch andere Aussagen sind Sätze, die jeder von uns gesagt, aber auch gehört hat. Während wir uns unermüdlich bemühen, unsere Lieben zu ändern, bemühen diese sich oft ebenso unermüdlich, uns zu verändern. Dabei ist es gerade mit der Frage nach dem eigenen Anteil an einer Situation ziemlich einfach, etwas zu verändern. Stelle ich sie mir regelmäßig, ändert sich mein Verhalten und damit auch das der anderen AUTOMATISCH. Probieren Sie es aus, es funktioniert 🙂